STIFTUNG VERTEIDIGUNGS- UND SICHERHEITSPOLITIK

STRATEGIELOSIGKEIT IN EINERBEDROHTEN WELTORDNUNG

Deutschland und Europa stehen nicht nur vor einem Superwahljahr mit vielen Ungewissheiten, sondern international auch vor zahlreichen Herausforderungen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen und die Werte von Freiheit und Demokratie zu verteidigen, müssen wir unsere eigenen Sicherheitsinteressen bewerten und klar definieren und damit zeigen, was uns unsere Freiheit und die liberale Demokratie wert sind.

Theresa Caroline Winter

Theresa Caroline Winter

Expertin für Sicherheits-und Verteidigungspolitik und nukleare Abschreckung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

Die Welt befindet sich in einem sogenannten Superwahljahr. Der Höhepunkt unserer Befürchtungen, Spekulationen und Untergangsszenarien sind die Präsidentschaftswahlen in den USA im November 2024. Alle außenpolitischen Strategiedebatten sind davon bestimmt. Was bedeutet es für die europäische Sicherheitspolitik, sollte Trump gewählt werden? Wie steht es um die NATO, den nuklearen Schutzschirm, Abschreckung in Europa? Wie wird die militärische Unterstützung der Ukraine davon beeinträchtigt, und was bedeutet das für den Obulus, den Deutschland zahlen muss?

UNTERDESSEN…

…Festigen Russland und Iran ihre Rüstungskooperation, die Russland eine Menge bewaffnungsfähiger Drohnen mit einer Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern verschaffen wird.
…Kooperieren Russland und China immer enger in der Arktis miteinander, nebst einem neuen Hoch der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern.
…Entwickelt sich der Krieg im Nahen Osten zu einem Mehrfrontenkonflikt, zwischen pro-iranischen Milizen und den USA, währen der Krieg zwischen Israel und der Hamas andauert.
…Ist die Lage im Südchinesischen Meer unsicherer denn je, vor allem, weil keiner mehr weiß, wo er hinschauen soll.

MILITÄRISCHE INVESTITIONEN ALS MACHTDEMONSTRATION

Nach den USA hat China die zweithöchsten Militärausgaben weltweit, mit zwei Millionen aktivem Militärpersonal ist die Volksbefreiungsarmee (VBA) zumindest zahlenmäßig das größte Militär. Zwar hinkt die VBA weiter in vielem hinterher, aber die Ambitionen sind unmissverständlich. Klar ist, dass China sein Militär als wichtiges Instrument der Machtunterstreichung betrachtet, nach innen wie nach außen. Spätestens seit dem 20. Nationalen Kongress der Kommunistischen Partei Chinas im Oktober 2022 will China offiziell eine militärische Weltmacht werden. Eine grundlegende Modernisierung der VBA bis 2035 ist geplant und schließlich zum „Weltklassemilitär“ bis Mitte des Jahrhunderts. Das Narrativ ist dabei ebenso unmissverständlich, die internationale Weltordnung und insbesondere die Rolle der USA innerhalb dieser infrage zu stellen.

Nicht überraschend verkündete jüngst die russische Regierung Rekordausgaben für sein Militär 2024, die etwa sechs Prozent des BIP ausmachen sollen. In den letzten zehn Jahren hat Russland einen wesentlichen Teil seiner Militärausgaben in Modernisierungsprogramme investiert, die darauf abzielen, veraltete Ausrüstung zu ersetzen, Technologie und Infrastruktur zu verbessern und die Effektivität der Streitkräfte zu steigern. Dazu gehören Investitionen in Waffen der nächsten Generation, Cyber-Fähigkeiten und Luft- und Raumfahrtsysteme. Russlands militärische Engagements seit dem Angriff auf die Ukraine, der Annexion der Krim und der Beteiligung am syrischen Bürgerkrieg haben ihren Teil zur Ausrichtung der Verteidigungsausgaben beigetragen. Solche Operationen erforderten zusätzliche Ressourcen und Investitionen in militärische Fähigkeiten, einschließlich Ausrüstungsmodernisierung. Insgesamt spiegeln Russlands Militärausgaben der letzten Dekade deutlich sein Interesse, eine Position als globale Militärmacht zu erhalten und zu stärken, wider.

Aber auch Indien hat in den letzten zwei Dekaden seine Verteidigungsausgaben stetig erhöht, um seinen geostrategischen Interessen gerecht zu werden. Im internationalen Vergleich hat Indien die dritthöchsten Ausgaben für Verteidigung, nach den USA und China. Dabei lag der Fokus auf der Beschaffung moderner Ausrüstung, der Entwicklung neuer Technologien und der Verbesserung der Einsatzbereitschaft seiner Streitkräfte. Die steigenden Verteidigungsausgaben gehen auch mit der Dynamik regionaler Spannungen und der Notwendigkeit einher, auf eine Vielzahl von Sicherheitsherausforderungen, darunter Grenzkonflikte und Terrorismus, zu reagieren.

VON „SO WHAT?“ ZU „WHAT NOW?“ – VOM SCHULTERZUCKEN ZUR AKTIVEN INTERESSENDEFINITION

Die Verteidigungsausgaben der drei größten Investoren in Militärausgaben nach den USA zeigt, dass weltweit in Kriegsfähigkeit investiert wird. Deutschland und die EU müssen sich in Acht nehmen, ohne einfach in einen quantitativen Ausgabe-Wettbewerb einzusteigen.
Die strategische Russland-Iran-Kooperation oder die globale Russland-China Kooperation müssen ein Weckruf sein, dass wir endlich vom Was-Wäre-Wenn-Trump-Gewählt-Wird in echte Handlungen übergehen. Und die müssen damit beginnen, unsere eigenen Interessen zu definieren, losgelöst davon, ob und wie viel Watte uns unsere transatlantischen Partner unter die Füße legen. In der komplexen Welt der globalen Politik stehen wir vor der Herausforderung, die koordinierten Manöver autoritärer Zusammenschlüsse zwischen China, Russland, Iran und Nordkorea im Sinne der Freiheit zu kontern. Während diese Regime ihre Interessen bündeln und ihre Macht festigen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir in Europa unsere Kapazitäten konzentrieren, um die Werte von Freiheit und Demokratie weltweit verteidigen zu können.

EIN STARKES SELBSTSTÄNDIGES EUROPA ALS PARTNER

Während autokratische Regime ihren konkreten Einfluss erweitern, erwarten wir hilflos Antworten aus den USA. Dabei funktioniert das transatlantische Bündnis nur mit einem handlungsfähigen selbstständigen Europa. Trotz komplexer demokratischer Prozesse haben wir die Chancen, die strategische Stärke der EU zu verbessern. Neue Studien zeigen, dass langfristig orientierte Demokratien die erfolgreichsten politischen Systeme für eine unberechenbare Zukunft sind, wie die Politikwissenschaftlerin Florence Gaub in ihrem neuesten Buch hervorstellt.

Angesichts der unverhohlenen Bedrohungen der internationalen Ordnung ist es entscheidend, unsere Interessen neu zu bewerten und den Mut zu haben, politisch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Ein Versäumnis in diesem Bereich zeigt eigene Schwäche und gefährdet die universellen Werte, die wir verteidigen wollen.

Das Problem ist nicht allein, dass die sogenannte „Achse des Bösen“ mit der Erweiterung um China und Russland eine echte Bedrohung der internationalen Weltordnung geworden ist. Oder, dass China und Russland systematisch auf allen Kontinenten ihre Macht auszuweiten versuchen. Das größte Problem ist, dass wir in Deutschland weiter eigene Sicherheitsinteressen nicht klar genug definieren und priorisieren. Die Debatten um Taurus-Lieferungen an die Ukraine, um Wehrpflicht und die Verstetigung vom Zweiprozentziel der Verteidigungsausgaben zeigen, dass es höchste Zeit ist, wirklich zu entscheiden, was uns unsere bedrohte Freiheit und liberale Demokratie wert ist.

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